Quality-Land (de)
- bschult3
- 8. Jan. 2024
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 14. Feb. 2024
Die jüngere deutsche Generation unter meinen Lesern hat vielleicht schon einmal den Begriff 'Qualityland' gehört. Populär wurde er durch das Buch "QualityLand" des renommierten deutschen Autors Marc Uwe-Kling (Autor von "Die Känguru-Chroniken"). Ich mochte diesen Begriff von Anfang an, schon als ich ihn zum ersten Mal hörte, und war immer ein bisschen neidisch, dass der Autor diese großartige Idee hatte - über eine Utopie zu schreiben, in der sich alles um Qualität statt um Quantität dreht - bevor ich etwas darüber schreiben konnte. Für diesen Blogbeitrag habe ich den Inhalt des Buches dann mal recherchiert und lustigerweise ist er ganz anders, als ich immer dachte. Meiner Meinung nach hätte der Begriff QuantityLand oder SuperLand besser zum Inhalt gepasst, denn Uwe-Kling schreibt eher über eine technologisch dystopische Welt, in der alles von künstlicher Intelligenz, Sozial-Credit Scores und Robotern regiert wird (also eher von einer quantitätsorientierten Welt).
Meine Vorstellung von einem Quality-Land (absichtlich mit einem "-" in der Mitte, um die Begriffe besser trennen zu können) ist ganz anders als die von Marc. Ich habe mir das Quality-Land immer als Gegenentwurf zu unserer derzeitigen quantifizierungsorientierten Kultur vorgestellt. Es basiert auf meiner Kritik an der westlichen Gegenwartskultur, und zwar explizit an unserem westlichen Wissenschaftsfokus. Meiner Ansicht nach besteht in der Wissenschaft durch den vehement vertretenen Objektivismus, also dem Grundsatz, dass Erkenntnisse auf nicht-subjektiven Messwerten basieren müssen, ein Zwang zur Quantifizierung. Denn wenn man subjektive, und damit auch qualitative, Erfahrungen als Informationsquelle ausschließt, bleiben nur noch nüchterne Informationsbits, Anzahlen ohne eigene Qualitätsdimension über (alles was mit Mathematik dargestellt werden kann). Man könnte sagen, dass die moderne Wissenschaft aus dem Zweifel gegenüber der subjektiven Erfahrung heraus entstanden ist. Dieser Zweifel ist jedenfalls ihre Kernüberzeugung. Nun wird so mancher einwenden, dass es ja auch qualitative Forschung gibt, nur ist diese einerseits in den meisten Fällen auf andere, von der Naturwissenschaft getrennte Felder, wie die Gesellschaftswissenschaften begrenzt, andererseits wird auch hier der Versuch der Objektivierung durch Methoden, wie 'Grounding' angestrebt, da man sonst um die Reputation innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinde bangen muss.
Die Zahlenorientierung unserer Kultur zieht sich auch weiter in Wirtschaft und Politik, wo das Wichtigste jeder Entscheidung ausgiebige Kalkulationen der möglichen Kosten und Gewinne, oder strahlkräftige Statistiken mit überzeugenden Zahlenwerten zu seien scheinen. Witzigerweise, weiß jeder, dass diese Berechnungen in vielen Fällen kompletter Humbug sind und trotzdem würde niemand ernst genommen werden, der "keine Zahlen nennen kann". Zahlen sind der Filter durch den wir in dieser Kultur unsere Welt wahrnehmen und in vielen Fällen nehmen wir diese Zahlen wichtiger als unsere subjektiven, qualitativen Eindrücke und Erfahrungen. Wer traut zum Beispiel bei Fragen der Gesundheit oder Lebensführung in Anbetracht der gewaltigen Menge an wissenschaftlichen Ratgebern, Expertenmeinungen und Analysen noch blind seinem Bauchgefühl... Wohl immer weniger Menschen und die, die es tun brauchen immer mehr Mut im Angesicht immer weniger Verständnis für ihre emotionale Entscheidungsgrundlage von ihren auf Zahlen getrimmten Mitmenschen.
In gewisser Weise leben wir also bereits in 'Quantity-Land'. Aber was soll man sich dann unter Quality-Land, so wie ich es im Sinn habe, genau vorstellen? Für mich wäre Quality-Land ein Ort, wo die Orientierung an einer gewissen Qualität richtungs- und handlungsweisend ist. So würden in einem solchen Land nicht mehr abstrakte Zahlenwerte, wie Geld oder Messwerte im Vordergrund stehen, sondern die Erfahrungsqualität eines Ereignisses oder die emotionale Beziehung, die wir zu etwas empfinden. Das beste Auto wäre demnach also nicht das schnellste, größte oder teuerste, sondern jenes welches mit der größten Hingabe und Sorgfalt, mit der größten Liebe von seinen Erschaffern gebaut wurde. Oder in der Wirtschaft würden wir nicht die Männer mit den größten Zahlenwerten auf dem Konto in unseren Magazinen abdrucken, sondern diejenigen, die mit der größten Leidenschaft und Liebe zur Sache ihre Vision lebendig werden lassen und ihren Mitmenschen damit Inspiration und Freude schenken. Wir würden in dieser Welt das Leben des Menschen nicht mehr nach seiner Dauer in Jahren beurteilen, sondern nach der emotionalen Fülle, mit welcher der Mensch sein eigenes Leben gestaltet und genossen hat. Massenkonsum, eine stark ungleiche Geldverteilung oder politische Entscheidungen auf Basis rein mathematisch-wissenschaftlicher Messdaten, wie aktuell bei Themen wie Global Health oder Klimawandel wären in einer solchen Qualitätsgesellschaft absurd.
Wäre eine solche Gesellschaft also besser als unsere Heutige? Ich denke eine so geprägte Gesellschaft wäre mit ihrer Orientierung zumindest in vielerlei Hinsicht näher an der Realität dessen, was das menschliche Leben lebenswert macht, nämlich eine Lebensführung und Beziehungen, welche dem eigenen Wesen entsprechen. Ich denke es kommt hier auf die Hierarchie der Werte an. Eine Gesellschaft, in der es gar keine Quantitäten mehr geben darf, also eine Qualitätsgesellschaft im Sinne einer Anti-Quantitätsgesellschaft, scheint mir nicht besonders überlebensfähig zu sein, da Zahlen und Mathematik für praktische Angelegenheit des Lebens einfach sehr nützlich sind. Sie würde praktisch im Chaos versinken, bzw. wäre nicht in der Lage größere Projekte, wie den Bau eines Doms zum Beispiel, umzusetzen. Eine gute Qualitätsgesellschaft würde also der subjektiven Erfahrungsebene die oberste Priorität einräumen und die Welt der Zahlen auf ihre Werkzeugfunktion zurückverweisen, bzw. sich dieser bedienen, wann immer es nützlich ist, ohne sich einzubilden, dass diese Quantitäten auch nur in irgendeiner Form mit den Erfahrungsqualitäten vertauschbar wären. In einer solchen Gesellschaft hätten die verschiedenen Aspekte des Menschen wieder ihren rechtmäßigen Platz gefunden. Plastisch könnte man das Motto einer solchen Gesellschaft auch folgendermaßen formulieren: "Herz über Kopf!"
Ein Quality-Land, wie ich es mir vorstelle, wäre als ein "Herz-über-Kopf-Land".
Da bekommt man doch gleich Lust dort hinzuziehen, nicht wahr?
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