Von Beziehungen (de)
- bschult3
- 10. Jan. 2024
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 30. Juni 2024
Wer dies hier liest, wird sich mit recht großer Wahrscheinlichkeit entweder selbst gerade in einer Beziehung befinden oder zumindest schon einmal in einer Beziehung gewesen sein, oder, wenn selbst das nicht zu trifft, sich wohl zumindest einmal in seinem Leben nach einer Beziehung gesehnt haben. Romantische Beziehungen sind allgegenwärtig. Für die Einen Quell unendlichen Lebensglücks, für die Anderen Grund zu ständiger Sorge und Nörgelei. Was wäre das Leben ohne eine gepflegte Beschwerde unter Männern über "seine Alte" oder das aufgeregte Getuschel über letzte Nacht unter Frauen? So oder so haben Beziehungen einen zentralen Stellenwert in unserer Kultur. Ihr Gelingen entscheidet über das Gefühlsleben der meisten Menschen, über ihren Selbstwert, ihr Image im Bekanntenkreis. Aber was macht denn nun eine gute Beziehung aus? Was ist die richtige Form der Beziehung? Und wie findet man sie?
Spätestens seit der Hippie-Bewegung der 60er brechen die klassischen, alteingesessenen Beziehungsvorstellungen der westlichen Gesellschaften auf und machen Platz für neue Konzepte. Offene Beziehungen, Freundschaft plus, Polyamorie oder sogar Polygamie sind in aller Munde, zumindest bei der jungen Generation. Wer sich als exklusives Pärchen in gewissen progressiven Kreisen bewegt, wird zum Teil mit ungläubigen Augen gemustert, wenn er erzählt, dass er nicht in einer offenen Beziehung lebt, dass er nicht offen ist, für was sich eben hier und dort so ergibt. Aber machen diese offeneren Konzepte wirklich glücklich? Hat nicht die klassische Exklusivität auch beigetragen zu gegenseitigem Vertrauen, hat sie nicht Raum gegeben sich im geschützten Rahmen der Beziehung auf noch größere Intimität, auf neue Experimente einzulassen? Gleichzeitig kennen wohl die meisten der Menschen, die Beziehungen erlebt haben den (zumindest innerlichen) Konflikt, wenn man in einer exklusiven Beziehung ist, aber einen Mensch trifft, mit dem es einfach knistert, einen Mensch mit dem man sofort etwas anfangen würde, wenn man eben gerade Single wäre. Also was ist nun besser, was wichtiger? Sexuelle Neugier oder Geborgenheit? Handlungsfreiheit oder emotionale Sicherheit?
An dieser Stelle möchte ich eine provokante These einbringen: Was wäre, wenn es gar keine richtige, gar keine gute Beziehung gäbe? Was wäre, wenn die Idee der Beziehung gerade ihr Gelingen verhindern würde? Könnte es sein, dass unser ständiger Fokus auf das richtige Konzept gerade das ist, was uns im Weg steht einander wirklich nah zu sein? Vielleicht ist die beste Beziehung die, die nicht existiert, die Nicht-Beziehung? Und ganz vielleicht ist es sogar noch anders, vielleicht gibt es tatsächlich gar keine Beziehungen...
Das klingt jetzt sicherlich sehr befremdlich oder nach Wortklauberei, daher möchte ich etwas ausführen, was damit gemeint sein könnte. Wenn du bist wie ich, dann hast du dich irgendwann in deinen Leben einmal gefragt, was die Beziehungen eigentlich sind, von denen alle immer reden. Schließlich kann man sie nicht sehen, und auch nicht anfassen. Alles was man beobachten kann sind das Verhalten von zwei Menschen miteinander, was sie einander sagen oder was man selbst spürt, wenn man sie so zusammen sieht. Für den nüchternen Betrachter ist es also gar nicht so einfach zu sagen, was eine Beziehung sein soll. Was wir beobachten können ist das Menschen sich anders verhalten, nachdem sie beschließen in einer sogenannten 'Beziehung' zu sein. Sie benutzen andere Namen füreinander, wie "Schatz" oder "Engelmaus", fangen an das Wort "ich" mit dem Wort "wir" zu ersetzen und das Verhalten der anderen Person entsprechend der vereinbarten Regeln zu beurteilen. Eine Beziehung scheint etwas wie ein Vertrag zu sein, den man schließt und auf den man sich bei seinem Verhalten berufen kann. Eine Art Regelwerk für den täglichen Umgang mit anderen Menschen, vor allem aber mit dem anderen Geschlecht.
Aber hat eine Beziehung nicht auch etwas mit Liebe zu tun? Schließlich reden wir doch immer von Liebesbeziehungen... Nun, wenn wir uns das Phänomen des liebevollen Verhaltens anschauen, so ist dies offenbar nicht an das vorhanden sein einer Beziehung gebunden. Menschen können einander liebevoll begegnen, sich nah sein, ja sogar Sex miteinander haben, ohne dass dafür eine Beziehung notwendige Voraussetzung wäre. Auch wenn wir in die Tierwelt schauen, so können wir dort gegenseitiges, liebevolles Verhalten, Geschlechtsverkehr und sogar gemeinsames Großziehen des Nachwuchses beobachten, ohne das jemals ein Tier gesehen worden wäre, das ein anderes fragt: "Sind wir jetzt in einer Beziehung?" Tiere lieben sich einfach und verhalten sich entsprechend. Ihre Bereitschaft für Intimität ist nicht von dem Vorhandensein einer offiziellen Abmachung abhängig. Aber ist dies so einfach auf den Menschen übertragbar? Vielleicht schon. Schließlich gibt es kein Naturgesetz, was uns verbieten würde genau so frei mit unserer Liebe umzugehen, wie die Tiere. Kein Gott, der einen Beziehungsvertrag vorgelegt bekommen will, bevor er den Storch mit dem Kind losschickt. Ich denke die richtigere Frage wäre: Was ist eigentlich mit uns Menschen los, dass wir unsere Liebesfähigkeit und unseren Liebesausdruck an eine imaginäre Abmachung hängen, die keine sensorisch erfahrbare Realität besitzt? An ein Konzept also, das es nur in unserer Vorstellung gibt. Wovor haben wir Angst, dass wir dieses von unserem "Partner" einfordern, dass wir unser Handeln und unsere Gefühlslage davon abhängig machen. Wenn man mal so losgelöst darüber nachdenkt ist die Idee von 'Beziehungen' schon ziemlich verrückt.
Aber kann das denn alles so einfach sein? Können wir einfach die Konzepte vergessen und uns lieben wie wir wollen, frei durchs Leben gehen, ohne dass uns die Regeln einer Beziehung eine Orientierung geben, wie mit einem anderen Menschen, oder mit unseren Gefühlen umzugehen ist? Die kurze, einfache Antwort darauf lautet: Ja, können wir.
Die lange, präzosere Antwort lautet: Wer kann das schon wissen, wenn er es nicht selbst probiert hat...
Denn wäre es nicht schön mit einem Menschen, den man liebt z.B. zusammen auf einer Party zu sein und auf die Frage hin: "Seit ihr ein Paar?", sich nur voll wissender Liebe und Zwinkern in den Augen anzusehen und dann wie aus einem Mund mysteriös antworten zu können: "Hmm, wer weiß...?"
Wäre es nicht schön, um die Liebe zu einander zu wissen, ohne einen Zweifel zu haben, ohne ewige Liebesbeweise verlangen zu müssen? Diese Liebe einfach in all ihrer Herrlichkeit, ohne Bedingung an den anderen genießen zu können...
Ich denke, das muss schon sehr schön sein. Und zumindest mich motiviert dieser Gedanke, es darauf ankommen zu lassen dies herauszufinden.
Aktuelle Beiträge
Alle ansehenHow would an ideal community of the future look like? Below you find a collection of different topic areas central to human life. For...
I study philosophy at a university and participate in a course on philosophical practice. Logically you can imagine that I am surrounded...
"There is no method, only love." "Religion flourishes where love is missing." "Only from truth we can build something worth existing."...